Mittwoch, 19. Juni 2024

19.6.1874: Ein Lobgesang auf Wyoming

 Eine typische Frontier-Zeitung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts umfasste in der Regel 4 Seiten, die nicht selten wie folgt befüllt waren:

Quelle: Wyoming Digital Newspaper Collection, University of Wyoming and Wyoming State Library

Dieses - zugegebenermaßen etwas extreme - Beispiel zeigt den Laramie Daily Sentinel vom 19. Juni 1874: Sieben eng beschriebene Spalten Text, von denen bis zu 6 ausschließlich mit Anzeigen aus Laramie City (Wyoming) oder dem umgebenden Albany County befüllt waren und oft nur ein oder zwei Spalten Nachrichten oder Kommentare lieferten. Und selbst diese bestanden oft nur aus Anekdoten - oder wohl eher mehr oder weniger geschmackvollen Witzen...

Quelle: Wyoming Digital Newspaper Collection, University of Wyoming and Wyoming State Library

Laramie City wurde 1868 als Eisenbahnstadt gegründet; laut Zensus von 1870 lebten in dem Ort 828 Personen, bis 1880 war die Stadt immerhin auf knapp 2700 Einwohner gewachsen; 1874 dürfte diese Zahl also so um die 1500 oder 1600 gelegen haben. Doch das hindert den Autoren des Sentinel nicht daran, die Stadt in höchsten Tönen zu loben (eine der schönsten Städte entlang der Transkontinentalen Eisenbahn"), kann sie doch bereits "5 Kirchen von 5 Konfessionen (allesamt mit Orgeln, drei davon mit Glocken), eine Schule mit 150 Lernwilligen und eine Hochschule" vorweisen. Und auch die Freimaurer und ein Templerorden sind bereits ortsansässig...

Quelle: Wyoming Digital Newspaper Collection, University of Wyoming and Wyoming State Library

Mehr als ein Drittel des gesamten "redaktionellen Inhalts" dieser Ausgabe sind Lobpreisungen auf all die Vorzüge, die das junge Wyoming Territory (erst ab 1868 offiziell zur Besiedlung freigegeben und bis zum Jahr 1880 mit etwa 20000 Einwohner auf seinen circa 250.000 Quadratkilometer gesegnet) zu bieten hat: Das Land biete eine derartig wunderbare Fülle an verschiedenem jagbaren Wild, (studiert in "jedem Sommer[...]von den größten Naturforschern und -gelehrten"), dass, Zitat, "ein englischer Gentleman, der hier für zwei Jahre jagte und anschließend hier abreiste, um in der Wildnis von Afrika und Indien Löwen, Tiger, Rhinozerosse und Elefanten zu jagen, hierher geschrieben hat, dass der Sport dort als Jadggebiet nicht annähernd an Wyoming heranreiche".


Quelle: Wyoming Digital Newspaper Collection, University of Wyoming and Wyoming State Library


Überhaupt ist alles an Wyoming das beste, schönste und reichhaltigste, dass Amerika zu bieten habe: Kein anderes Gebiet dieser Erde sei so reichhaltig an verschiedenen Bodenschätzen, oder habe eine so vielfältige Flora und Fauna zu bieten, wie das Territorium an den Rocky Mountains.

Quelle: Wyoming Digital Newspaper Collection, University of Wyoming and Wyoming State Library


Auch für Kranke sei das Wyoming Territory, mit seiner wunderbaren Bergluft und den vielen heißen Quellen, ein wahres Paradies...

Quelle: Wyoming Digital Newspaper Collection, University of Wyoming and Wyoming State Library



Und haben wir bereits die Bodenschätze erwähnt, die mit nur "sehr geringem Aufwand an Kapital" geborgen werden können?

Quelle: Wyoming Digital Newspaper Collection, University of Wyoming and Wyoming State Library


Und natürlich ist Wyoming "dazu bestimmt, das größte Viehbestand produzierende Gebiet Amerikas zu werden". So ganz unwahr ist diese Behauptung nicht: Wyoming wurde in der Tat bis 1890 zu einem der drei größten Gebiete für Schaf- und Rinderzucht in den Vereinigten Staaten und ist nicht zuletzt deswegen bis heute noch als einer DER "Cowboy-Staaten" der USA bekannt:

Quelle: Wyoming Digital Newspaper Collection, University of Wyoming and Wyoming State Library


Persönlich am amüsantesten finde ich den Vermerk auf das Wetter in Wyoming: Das Wetter ist "fast immer klar und Hell, wir haben in diesem Land in vierzehn Jahren niemals so etwas wie einen feuchten, bewölkten, nebligen oder regnerischen Tag gesehen". (Das mit dem klaren Himmel mag zutreffen, aber Wyoming ist auch bekannt als einer der US-Bundesstaaten mit den größten Unterschied in Wetter- und Temperaturextremen: Lange Winter von Oktober bis April, nicht selten mit tage- oder wochenlangen Blizzards im Jahr, oft gefolgt von sehr heißen, trockenen Sommern; bemerkenswerterweise schweigt sich der Zeitungsartikel über Temperaturen vollständig aus).

Quelle: Wyoming Digital Newspaper Collection, University of Wyoming and Wyoming State Library



Auch Tipps für interessierte Einwanderer hat der Laramie Sentinel zu bieten: Auf keinen Fall sollen Immigranten, die vom Westen her kommend sich im Wyoming Territory niederlassen möchten, hierfür die Eisenbahn nehmen, sondern viel lieber das Geld in einen Wagen und ein ordentliches Ochsengespann investieren und die "vier bis acht Wochen" Reise auf diese Art zu bewältigen: Man spart eine Menge Geld, die man in ordentliche Tätigkeiten vor Ort investieren kann, und diese Art der Reise berge "keinerlei Gefahr" (oder sei "unendlich sicherer wie noch vor 12 oder 15 Jahren"...); sie sei vielmehr "ein Quell an Gesundheit und Vergnügen"!

Quelle: Wyoming Digital Newspaper Collection, University of Wyoming and Wyoming State Library

Man könnte noch viele weitere Stellen herauspicken; ich kann nur empfehlen, sich die Zeitung und die diversen Artikel zu den Lobpreisungen über die Wunder Wyomings einmal selbst vorzunehmen. Eine sehr kuriose und wundersame Zeitkapsel aus dem Frontier-Journalismus von vor 150 Jahren.

Eine Frage stellt sich mir allerdings: für wen waren diese lobpreisenden Ergüsse gedacht? Der Laramie Sentinel erschien nur in Laramie selbst - brauchten die 1500 Einwohner des Ortes wirklich Tipps, wie man "richtig" von Kalifornien nach Wyoming einwandert? Waren die Leser wirklich so erpicht darauf in einem Lokalblatt zu lesen, wie übermäßig toll ihr Territorium ist? Hat der Autor darauf spekuliert, dass ein auswärtiges Blatt auf diese Beträge aufmerksam wird und diese übernehmen möchte? Wir werden die Antwort darauf wohl nie erfahren.

(Überhaupt scheint der Redakteur und Herausgeber des Laramie Sentinel, ein gewisser J.H. Hayford, ein sehr sonderbarer Geselle gewesen zu sein, der das Blatt als sein persönliches Sprachrohr nutzte um seine  bisweilen doch etwas ... naja, sagen wir speziellen... Ansichten und Kommentare über Gesellschaft und Politik zu verbreiten. Die Wildwest-Zeit gilt ja oft als nicht besonders aufgeklärt, aber selbst in diesem Umfeld wirken die Auswüchse aus seiner Feder oft besonders ausfallend sexistisch oder rassistisch... aber das ist ein Thema für ein anderes Mal). 



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