Montag, 22. April 2024

"Der 'Mother Hubbard' muss verschwinden!"

An dieser Stelle greifen wir einen Modetrend auf, den wir am Rande unserer Podcast-Folge zum Johnson County War einmal in einem kleinen Exurs angesprochen hatten.

 Immer wieder kommen Modetrends auf, die für einen moralischen Aufschrei in Teilen der Gesellschaft sorgen: Zu unzüchtig! Zu aufreizend! Skandalös! Im modernen Zeiten sind es meistens zu figurbetonte oder viel Haut zeigende Kleidungsstücke die solche Reaktionen hervorrufen. Da mag es aus moderner Sicht befremdlich wirken, welche Art Kleid in den 1880er Jahren, vor allem in Regionen des Wilden Westens, für Furore sorgte: Das so genannte "Mother Hubbard" Kleid!

Pictures of Mother Hubbard gownsPictures of Mother Hubbard gowns 03 Feb 1889, Sun The Wichita Eagle (Wichita, Kansas) Newspapers.com

Blue cotton calico dress of Elizabeth Hinterleiter Keesacker, a Virginia native who moved to St. Louis in the early 1800s. Image Courtesy of the Missouri Historical Society, St. Louis.

Während die übliche Frauenkleidung jener Zeit auf eng taillierte (mit Korsett getragene) Kleider Wert legte, die mit Unterröcken und Tornüre zur besonderen Absetzung des Pobereichs getragen wurden, lief der Mother Hubbard diesem Trend zuwider: Es war ein bewusst nicht figurbetontes, langes, weites und locker sitzendes Kleid mit langen Ärmeln und hohem Halsausschnitt, und sollte tatsächlich so viel Haut wie möglich bedecken. 


Kleidungsstücke dieser Art gab es auch vor den 1880er Jahren bereits und wurden meist von Frauen während der Hausarbeit eingesetzt. Aber in der genannten Dekade erlangte das Kleid (das seinen Namen von einem Buch mit Kinderreimen namens "Old Mother Hubbard" bekam, in dem Mädchen mit Kleidern in diesem Stil illustriert waren) auch unter jungen Frauen Popularität, die die Bewegungsfreiheit und Luftigkeit dieses Kleidungsstils, gerade in heißeren Gegenden, sehr zu schätzen wussten. 

Das erregte allerdings den Unmut und moralische Entrüstung - vor allem von Teilen der männlichen Bevölkerung. Manche - überwiegend männliche - Kommentatoren brachten ihre Entrüstung über das Unweibliche Erscheinungsbild von Frauen in diesem hässlichen, sackartigen Gewand - "All Skirt, no waist", wie es der Schreiber des folgenden Artikels ausführt - zum Ausdruck: 

Mother Hubbard dress criticizedMother Hubbard dress criticized 02 Nov 1883, Fri The Leavenworth Standard (Leavenworth, Kansas) Newspapers.com

In unserem Podcast zum Johnson County War erwähnten wir, dass in Johnson County (speziell am Gerichtsstand in Buffalo) um das Jahr 1889 mutmaßliche Viehdiebe mit milden Strafen davonkamen, während das Tragen eines Mother Hubbard Kleides in der Öffentlichkeit mit bis zu 20$ bestraft werden konnte. Auch andernorts, beispielsweise in Kentucky, gab es Bußgelder für das öffentliche Tragen eines solchen Kleidungsstücks:

5$ fine for wearing a Mother Hubbard5$ fine for wearing a Mother Hubbard 18 Apr 1884, Fri Chicago Tribune (Chicago, Illinois) Newspapers.com

Auch kam es durchaus zu Verhaftungen wegen des öffentlichen Tragens eines Mother Hubbards:

Arrests of women wearing Mother Hubbard dressesArrests of women wearing Mother Hubbard dresses 12 May 1887, Thu Omaha Daily Bee (Omaha, Nebraska) Newspapers.com

Auch an Spott und anderen herablassenden Kommentaren mangelte es nicht: 

Men must have really hated the Mother Hubbard dress - comfortable for women!Men must have really hated the Mother Hubbard dress! 14 May 1886, Fri The Abilene Journal (Abilene, Kansas) Newspapers.com

Aber was genau störte die männliche (oder Teile der weiblichen) Bevölkerung an diesem Kleid? Ein Kommentator des Coffeyville Journals (Coffeyville, Kansas) brachte es, stellvertretend für andere ähnliche Beiträge, in einem Artikel auf den Punkt: Es sah zu sehr nach einem reinen Unterrock oder Nachthemd aus; "Junge Mädchen", die dieses Kleid trügen, sähen darin so aus, "als hätten sie vergessen, sich anzuziehen, nachdem sie morgens aus dem Bett aufgestanden sind"!

EDitor's comment on Mother Hubbard dressEditor's comment on Mother Hubbard dress 28 Jul 1883, Sat The Coffeyville Weekly Journal (Coffeyville, Kansas) Newspapers.com

Weniger freundlich klang in solchem Zusammenhang der Vorwurf, Frauen würden in einem solchen Kleid wie Prostituierte aussehen (die solche Kleider wegen der Einfachheit des An- und Ausziehens bevorzugen würden; interessant, dass in den 1880ern das Bild vorzuherrschen schien, dass das Tragen eines WENIGER figurbetonten Kleides eher leichten Mädchen zugeschrieben wurde); das Tragen eines solchen Kleides wäre gewissermaßen Erregung öffentlichen Ärgernisses, und junge Damen würden "nur" deswegen verhaftet, um entsprechende unliebsame Avancen angehender Freier vorzubeugen.

Dodge City Times, Kansas, Juli 1883

All diese Kommentare lassen dabei den eigentlichen Grund außer Acht, warum Frauen ein solches - nicht figurbetontes, lockeres, den ganzen Körper bedeckendes - Kleid entgegen der Modetrends der damaligen Zeit überhaupt haben möchten: Es war, schlicht und ergreifend - bequem und angenehm zu Tragen - ganz ohne Notwendigkeit für Korsetts, Tornüren oder mehrere Lagen an Unterröcken!

The joy of the corset-free Mother Hubbard dressThe joy of the corset-free Mother Hubbard dress 12 Sep 1889, Thu The Wichita Weekly Journal (Wichita, Kansas) Newspapers.com
In den 1890er Jahren verschwanden die Debatten um das Mother Hubabrd Kleid wieder aus dem öffentlichen Diskurs. Interessanterweise haben sich Kleider im Mother-Hubbard-Stil dagegen auf einigen Pazifikinseln bis heute gehalten! Eingeführt wurden die Ganzkörper-Röcke dabei interessanterweise ausgerechnet von christlichen Missionare - um die in westlichen Augen zu aufreizende Blöße der "halbnackten" Insulaner zu bedecken!

Tahitian girls in mother Hubbard dresses. various, Public domain, via Wikimedia Commons


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